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Kanalisationsforum 2006: Pressebericht


Im Kanal steckt Kapital

Das Kanalnetzforum in Bern öffnet den Deckel zu einem düsteren Kapitel
Solangs funktioniert, interessierts niemanden: das Kanalisationsnetz. Doch das Desinteresse kann teuer werden: Fachleute in Bern warnen vor den Folgen vernachlässigter Abwassersysteme.



Unsichtbar, aber effizient schluckt das unterirdische Kanalsystem die mehr oder weniger flüssigen Frachten aus Haushalten und Industrie und führt sie abseits der Zivilisation der Klärung zu. Aus den Augen, aus dem Sinn. Für den Betrieb des 300 Kilometer langen Stadtnetzes sorgt die Verwaltungsabteilung Stadtentwässerung, fürs 150 Kilometer lange private Leitungsnetz indes sind die Privateigentümer selber verantwortlich.

Während die öffentlichen Netze über Gebühren finanziert und durch die Gemeinden in relativ gutem Zustand gehalten sind, nehmen Private ihre Aufgabe offensichtlich kaum wahr: Die private Entwässerung sei teilweise in desolatem Zustand, sagte Hans Ulrich Gränicher, Präsident der SVP Stadt Bern, Grossrat und Inhaber des gleichnamigen Ingenieur- und Planungsbüros. Auf seine Initiative trafen sich in Bern bis gestern Fachleute aus der Branche zum zweiten Kanalisationsforum. Bis zu 85 Prozent der untersuchten Leitungen im Liegenschaftsbereich wiesen Mängel auf, die dringend behoben werden müssten, so Gränicher. Er wünscht sich verstärktes Engagement der Behörde bei der Zustandsbeurteilung privater Abwassersysteme.



Doch für die systematische Erfassung der Privatnetze zeigt sich die Stadtbehörde nicht in der Lage: «Für eine umfassende Kontrolle haben wir keine Ressourcen», hielt Gemeinderätin und Tiefbaudirektorin Regula Rytz fest. In Frage käme allenfalls eine Erhebung über Selbstdeklaration durch die Eigentümer. Die Übertragung der privaten Anschlüsse an die öffentliche Hand ist laut Rytz nicht praktikabel: Weder die Finanzierung noch die Zugänglichkeit auf Privatgrund seien gewährleistet. Auch habe die Stadt bereits im Strassenbau ein Werterhaltungsproblem zu lösen.

Vorerst begnügt sie sich mit der Prüfung privater Anschlüsse im Rahmen von Baugesuchen. Zudem wurde sie jüngst aktiv bei der Sanierung der privaten Ehgräben in der Altstadt. Mit der heutigen Praxis würde es laut Rytz 200 Jahre dauern bis zur vollständigen Erfassung aller Privatanschlüsse. Das Risiko massiver Grundwasserverschmutzung erachten die Fachleute jedoch als gering. Zuständen wie in der Dritten Welt, wo das Trinkwasser oft wegen undichter Abwasserleitungen verunreinigt ist und abgekocht werden muss, «gehen wir nicht entgegen», sagte Rytz.



Die Stadt Zürich beispielsweise nimmt private Liegenschaftsbesitzer immer dann in die Pflicht, wenn öffentliche Leitungen saniert werden. «Dies gelingt in den allermeisten Fällen», berichtete Harry Köhler, Bereichsleiter Entsorgung und Recycling Zürich. Viele Hausbesitzer wissen zwar nicht, dass sie nebst Abwassergebühr und Anschlussgebühr auch für den Unterhalt ihrer Entwässerungsanlagen aufkommen müssen. Da sei Überzeugungsarbeit gefragt, so Köhler, denn «wenns ums Portemonnaie geht, kommt zuerst die Abwehrreaktion».

Deutschland ist da einen Schritt weiter als die Schweiz: Gemäss Gesetz sind Hausbesitzer zur Dichtigkeitsprüfung ihrer Leitungen verpflichtet und müssen diese auch selber bezahlen. Dank modernster Kanalnetztechnik kommen die Schäden überhaupt zum Vorschein; und je systematischer untersucht wird, desto dicker sind die Auftragsbücher der spezialiserten Firmen. Letztlich sei das Zuwarten teurer als die gezielte und organisierte Sanierung, erklärte Gränicher. Beim Hauseigentümerverband Bern und Umgebung steht das Thema indes nicht zuoberst: Niemand sei bereit, Kanäle auf Vorrat zu sanieren, so Sekretär Lukas Manuel Herren. Aber vielleicht gebe es da tatsächlich Aufklärungsbedarf.

Alle zahlen mit

Auf 18 Milliarden Franken schätzt der Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) die Sanierungskosten für private Abwasserleitungen in der Schweiz. Das Gewässerschutzamt des Kantons Bern geht mit der Branche einig, dass öffentliche Netze besser unterhalten sind als private. Der Zustand der Privatanschlüsse ist wenig erforscht. Der Unterhalt ist teuer, aber finanzierbar: Laut Bruno Bangerter, Abteilungsleiter beim Gewässerschutzamt, sind die durchschnittlichen Kosten für den einzelnen Bürger derzeit mit 150 Franken pro Jahr relativ gering. Den Rest zahlen Industrie und Gewerbe. Die Lebensdauer eines Kanalnetzes beträgt 80 Jahre. (dv)



Der Bund, 2. September 2006